Insolvenzanfechtung: Kein Verstoß gegen Treu und Glauben durch Geltendmachung eines Anspruchs auf Rückgewähr gezahlter Einfuhrumsatzsteuer

08.04.2024
Wirtschaft, Gesellschaft & Handel 2/2024
3 Minuten

Die Geltendmachung eines Insolvenzanfechtungsanspruchs auf Rückgewähr gezahlter Einfuhrumsatzsteuer verstößt selbst dann nicht gegen Treu und Glauben, wenn man von einer Pflicht zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs ausgeht und annimmt, dass eine daraus folgende Umsatzsteuerschuld eine Masseverbindlichkeit darstellt (BGH, Urt. v. 8.2.2024, Az. IX ZR 2/22).

Worum geht es? 

Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem auf Eigenantrag am 29.1.2016 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der L. GmbH & Co. KG (Schuldnerin). Die Schuldnerin handelte mit Outdoor-Bekleidung. Zu diesem Zweck führte sie Bekleidung aus einem Drittland nach Deutschland ein und entrichtete dafür die geschuldete Einfuhrumsatzsteuer. In der Zeit von 2014 bis 2015 betrugen die Zahlungen insgesamt rund 1,1 Mio. Euro. Die Zahlungen brachte die Schuldnerin als Vorsteuer bei den entsprechenden Umsatzsteuervoranmeldungen in Abzug. Unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung nimmt der Kläger die Beklagte auf Rückgewähr der Einfuhrumsatzsteuerzahlungen in Anspruch. Die von ihm verwaltete Masse decke die fälligen Masseverbindlichkeiten. LG und OLG wiesen die Klage ab.

Wie entschied das Gericht? 

Auf die Revision des Klägers hob der BGH den Beschluss des OLG auf und verwies die Sache zurück. Die Rechtsverfolgung des Klägers verstoße nicht gegen Treu und Glauben. Nach der sich aus § 242 BGB ableitenden dolo-agit-Einrede ist die Durchsetzung eines Anspruchs unzulässig, wenn der Gläubiger das Erlangte wieder an den Schuldner herauszugeben hätte (dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est). Diese Einrede setzt voraus, dass für die Ausübung der Rechtsstellung keine schutzwürdigen Interessen bestehen, das Erheben des Anspruchs dem Schuldner vielmehr unnötige Beschwernisse und zusätzliche Insolvenzrisiken aufbürdet, ohne dem Gläubiger legitime Vorteile zu bringen.

 Nach diesen Grundsätzen sei das auf §§ 133 Absatz 1, 143 InsO gestützte Verlangen des Klägers auf Rückgewähr der streitgegenständlichen Zahlungen von Einfuhrumsatzsteuer keine unzulässige Rechtsausübung. Die Geltendmachung des insolvenzanfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruchs verstoße selbst dann nicht gegen Treu und Glauben, wenn man mit dem OLG von einer Pflicht zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs ausgeht und annimmt, dass eine daraus folgende Umsatzsteuerschuld eine Masseverbindlichkeit darstellt. Das OLG hatte zu Recht über die Frage der Berichtigungspflicht nach § 17 Abs. 3 UStG befunden. Das Gericht des zulässigen Rechtswegs entscheidet den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. Auch wenn die Wirkungen des (begründeten) dolo-agit-Einwands auf die Rechtsverfolgung des Anspruchsinhabers denen der Aufrechnung ähneln, handelt es sich weder um einen weiteren Streitgegenstand noch erwächst die Entscheidung über die Pflicht des Anspruchsinhabers zur Rückgewähr des Erlangten in Rechtskraft. Insbesondere wäre die Finanzgerichtsbarkeit nicht gehindert, eine Pflicht zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs gem. § 17 Abs. 3 UStG anzunehmen, wenn das mit dem dolo-agit-Einwand befasste Zivilgericht eine solche Pflicht verneinen würde. Die (hier unterstellte) Pflicht zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 17 Abs. 3 UStG begründet den vom OLG angenommenen dolo-agit-Einwand nicht.

 Die Beklagte ist Anfechtungsgegnerin und muss wegen ihrer nach § 144 Abs. 1 InsO wiederauflebenden Einfuhrumsatzsteuerforderungen Befriedigung wie jeder andere (Insolvenz-)Gläubiger suchen. Das stellt die angefochtene Entscheidung über die Berufung des Klägers nicht infrage. Sie stützt den dolo-agit-Einwand vielmehr auf die aus § 17 Abs. 3 UStG abgeleitete Verpflichtung des Klägers, den Vorsteuerabzug in Höhe der Rückgewähr anfechtbarer Einfuhrumsatzsteuerzahlungen zu berichtigen, und die Annahme, dass es sich bei der Umsatzsteuerforderung, die aus der Berichtigung resultiere, um eine Masseverbindlichkeit handele. Dies begründe den dolo-agit-Einwand aber nicht.

Praxishinweis

Es ist allgemein anerkannt, dass die Ausübung eines Rechts gegen Treu und Glauben verstoßen und deshalb unzulässig sein kann. Zur einfacheren und zugleich rechtssichereren Beurteilung der Frage, ob die Ausübung eines Rechts gegen Treu und Glauben verstößt, haben sich in der Praxis und der Wirtschaft bestimmte Fallgruppen herausgebildet, die vorliegend im Bereich der Insolvenzanfechtung nun weiter ausgeformt worden sind. Zugleich zeigt die Entscheidung, dass das Recht der Insolvenzanfechtung mitunter zu überraschenden und von den handelnden Personen häufig nicht vorhergesehenen Folgen führt.

Bildnachweis:Ralf Liebhold/Stock-Foto ID: 2201999485

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