Es ist eine paradoxe Situation: Während die im Juni 2023 verabschiedete europäische Entgelttransparenzrichtlinie in der arbeitsrechtlichen Beratung bereits als eines der großen Themen des kommenden Jahres identifiziert wurde, ist in der Praxis hiervon bisher wenig zu spüren. Dabei enthält die Richtlinie eine Vielzahl von Neuerungen und Verschärfungen des bestehenden Antidiskriminierungs-Regelwerks, die durch Arbeitgeber künftig in der täglichen Arbeit angewendet werden müssen. Insoweit bleibt Unternehmen nicht mehr viel Zeit, sich auf die neuen Anforderungen einzustellen.
Ziel der Richtlinie ist es, die trotz einer Vielzahl gesetzgeberischer Maßnahmen immer noch festzustellende Lohnlücke zwischen Männern und Frauen weiter zu schließen und durch mehr Transparenz diskriminierende Entgeltpraktiken zu verhindern.
Die Entgelttransparenzrichtlinie sieht eine Reihe verbindlicher Maßnahmen vor:
Geschlechtsneutrale Vergütungskriterien: Arbeitgeber sind künftig verpflichtet, objektive, geschlechtsunabhängige Kriterien für die Entgeltbemessung festzulegen. Die Richtlinie nennt hier vier Kriterien: fachliche und persönliche Kompetenzen (z.B. Ausbildung, Erfahrung, Sozialkompetenz), Verantwortung (z.B. Personalführung, Budgetverantwortung), Belastungen (körperlich, psychisch, zeitlich) und Arbeitsbedingungen (z.B. Aufgaben, Arbeitsmittel, Abläufe, Input und Output sowie Umwelteinflüsse). Diese sind durch den Arbeitgeber zueinander zu gewichten.
Lohntransparenz vor der Einstellung: Arbeitgeber müssen bereits im Bewerbungsprozess (in der Stellenausschreibung, spätestens vor dem Vorstellungsgespräch) über die Höhe des Anfangsgehalts oder der entsprechenden Gehaltsspanne Auskunft erteilen. Insgesamt haben Arbeitgeber sicherzustellen, dass das Einstellungsverfahren diskriminierungsfrei abläuft. Fragen des Arbeitgebers nach dem Gehalt in früheren Jobs sind künftig untersagt.
Lohntransparenz im laufenden Arbeitsverhältnis: Unternehmen müssen künftig jährlich die objektiven und geschlechtsneutralen Kriterien offenlegen, nach denen die Entgelte festgelegt und entwickelt werden. Arbeitsvertragliche Klauseln, die Verschwiegenheit über das Gehalt vorsehen, sind unzulässig.
Informationsrechte für Beschäftigte: Arbeitnehmer haben zukünftig einen Anspruch auf Auskunft über die individuelle Entgelthöhe und – aufgeschlüsselt nach Geschlecht – über die durchschnittlichen Entgelthöhen für die Gruppen von Arbeitnehmern, die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten, wobei künftig auch über die Höhe des Entgelts vergleichbarer Mitarbeiter des eigenen Geschlechts informiert werden muss. Die Auskünfte müssen in schriftlicher Form und innerhalb einer angemessenen Frist, spätestens innerhalb von zwei Monaten ab dem Tag des Auskunftsverlangens, zur Verfügung gestellt werden. Eine Mindestgröße für die Gruppe, über die zu informieren ist, ist in der Richtlinie nicht angelegt; auch ist eine Mindestgröße, ab der der Auskunftsanspruch greift, ist – anders als aktuell – nicht vorgesehen.
Berichterstattung über geschlechtsspezifische Lohnlücke: Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten müssen regelmäßig Daten zur geschlechtsspezifischen Lohnlücke in ihrem Unternehmen veröffentlichen. Die Berichtspflicht wird gestaffelt eingeführt: Ab Juni 2027 müssen alle Arbeitgeber mit mehr als 150 Beschäftigten berichten, im Juni 2031 dann Arbeitgeber mit mindestens 100 Beschäftigten. Für Arbeitgeber mit mehr als 250 Beschäftigten greift eine jährliche Berichtspflicht. Alle anderen müssen alle drei Jahre berichten.
Handlungspflichten bei festgestellter geschlechtsspezifischer Lohnlücke: Wird im Rahmen des Berichts eine geschlechtsspezifische Lohnlücke von mehr als 5 Prozent festgestellt, die sich nicht rechtfertigen lässt oder binnen sechs Monaten beseitigt wird, ist eine gemeinsam mit der Arbeitnehmervertretung vorzunehmende Entgeltbewertung Pflicht. In einem nächsten Schritt müssen Unternehmen in Zusammenarbeit mit der Arbeitnehmervertretung Maßnahmen ergreifen, die Abhilfe schaffen.
Die Bundesregierung hat im Juli 2025 eine Kommission eingesetzt, die die Umsetzung der Entgelttransparenzrichtlinie vorbereiten soll. Klar ist allerdings schon jetzt: Angesichts der engen Grenzen, die die Entgelttransparenzrichtlinie dem nationalen Gesetzgeber setzt, sind größere Abweichungen von diesen Vorgaben nicht zu erwarten – eine pünktliche Umsetzung dafür umso mehr. Die neuen Vorgaben werden Arbeitgeber vor nicht unerhebliche Herausforderungen stellen – insbesondere aufgrund des steigenden administrativen Aufwands bzgl. der Festsetzung und Dokumentation der Gehaltsstruktur und ihrer Bemessungsgrundlagen. Der erste Schritt sollte daher sein, sich einen umfassenden Überblick über die Gehaltsstrukturen im eigenen Unternehmen zu verschaffen, die Bemessungskriterien für die Gehaltsbemessung festzulegen und das Verhältnis zu klären, in dem die einzelnen Faktoren zueinanderstehen. Dies sollte bestenfalls in einer Policy, die den gesamten Gehaltsbildungsprozess abdeckt, niedergelegt werden. SCHOMERUS unterstützt sie gern bei der Analyse der bestehenden Strukturen und der Vorbereitung auf die zukünftigen Anforderungen.
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