Wenn nach den Bestimmungen im Gesellschaftsvertrag das Weisungsrecht im Aufgabengebiet der laufenden Geschäftsführung und nicht der Gesellschafterversammlung liegt, kann ein Prokurist, der als Gesellschafter über 50 % der Gesellschaftsanteile verfügt, Weisungen der Geschäftsführung gegen sich nicht unterbinden. Er ist regelmäßig sozialversicherungspflichtig beschäftigt (LSG Sachsen, Urt. v. 19.05.2022, Az. L 9 KR 558/17).
Die Beteiligten, eine GmbH und das Finanzamt, streiten um die Sozialversicherungspflicht aufgrund der Beschäftigung des beigeladenen Gesellschafters als Prokuristen der klagenden GmbH um eine Nachforderung von Renten-, Arbeitsförderungs- und Umlagebeiträgen in Höhe von 56.870,04 EUR.
Von dem Stammkapital der GmbH im Nennwert von 25.000 EUR hielten die beiden Gesellschafter je 50 %. Einer der Gesellschafter hatte vom 22.12.2008 bis zu seiner Bestellung als Geschäftsführer am 18.02.2020 Einzelprokura mit der Befugnis, im Namen der Gesellschaft oder als Vertreter eines Dritten Rechtsgeschäfts abzuschließen. Die GmbH und der Gesellschafter schlossen am 01.10.2008 einen Prokuristen-Anstellungsvertrag ab.
Im Jahr 2014 führte das Finanzamt bei der GmbH eine Betriebsprüfung durch. Im Anschluss daran stellte die Mitarbeiterin des Finanzamtes fest, dass mit dem Gesellschafter als Fuhrparkleiter und seit dem 2.10.2008 als Prokurist ein abhängiges, sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bestehen würde. Hieraus würden sich Nachforderungen zur Sozialversicherung in Höhe von 56.870,04 EUR ergeben.
Die GmbH erhob gegen den Bescheid erfolglos einen Widerspruch. Anschließend hat sie Klage vor dem Sozialgericht Leipzig erhoben. Das Sozialgericht hatte der Klage stattgegeben und den Bescheid aufgehoben. Die angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig. Die Tätigkeit des Gesellschafters als Prokurist sei keine abhängige und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Vielmehr sei der Beigeladene wie ein Unternehmer mit typischen Freiheiten und Risiken beschäftigt und dem Geschäftsführer der Klägerin gegenüber wegen seiner hälftigen Mitbeteiligung am Unternehmen gleichberechtigt.
Gegen das Urteil hat das Finanzamt Berufung beim LSG Sachsen eingelegt. Das Urteil des Sozialgerichts Leipzig sei aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Das LSG Sachsen hat das Urteil aufgehoben. Das LSG Sachsen hat sich stattdessen der Auffassung des Finanzamts angeschlossen.
Der beigeladene Gesellschafter sei als Prokurist der GmbH im streitgegenständlichen Zeitraum abhängig beschäftigt gewesen und unterlag daher aufgrund der Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt der Versicherungspflicht.
Der Gesellschafter war gegenüber der Geschäftsführung weisungsgebunden. Er war als Gesellschafter mit einem Anteil von 50 % am Stammkapital und Prokurist nicht in der Lage gewesen, seine Weisungsgebundenheit aufzuheben oder abzuschwächen, so das Gericht. Er hatte im streitgegenständlichen Zeitraum keine Rechtsmacht, gegen ihn gerichtete Weisungen des Geschäftsführers verhindern zu können.
Ein GmbH-Gesellschafter, der in der Gesellschaft angestellt und nicht zum Geschäftsführer bestellt ist, ist daher regelmäßig abhängig beschäftigt, so das Gericht. Er besitze allein aufgrund seiner gesetzlichen Gesellschafterrechte nicht die Rechtsmacht, seine Weisungsgebundenheit als Angestellter der Gesellschaft aufzuheben. Das Weisungsrecht gegenüber den Angestellten der GmbH obliege, sofern im Gesellschaftsvertrag nichts anderes vereinbart ist, nicht der Gesellschafterversammlung, sondern ist Teil der laufenden Geschäftsführung. Erst wenn Gesellschafter kraft ihrer gesellschaftsrechtlichen Position letztlich auch die Leitungsmacht gegenüber der Geschäftsführung haben, unterliegen sie nicht mehr deren Weisungsrecht, führte das Gericht aus.
Vorliegend hatte alleine der Geschäftsführer die laufenden Geschäfte der GmbH geführt, zu denen auch die Ausübung des Weisungsrechts gegenüber den Beschäftigten der Gesellschaft gehörte. Trotz seiner hälftigen Beteiligung am Stammkapital blieb die Position des Beigeladenen innerhalb des Unternehmens deutlich hinter der organschaftlich begründeten Stellung des bestellten Geschäftsführers zurück. Der Gesellschaftsvertrag der Klägerin sah weder eine Einschränkung der Vertretungsbefugnis der Geschäftsführung noch ihres Weisungsrechts gegenüber Angestellten der Gesellschaft vor.
Ein Gesellschafter mit einem Anteil von 50 %, der gleichzeitig im selben Unternehmen als Prokurist tätig ist, ist regelmäßig abhängig beschäftigt, da er der Weisungen der Geschäftsführung unterliegt und diese Weisungsgebundenheit nicht selbstständig aufheben kann.
Arbeitgeber, insbesondere die Geschäftsführer, sollten auf die rechtliche Stellung der im Betrieb tätigen Personen besonders achten. Die vorsätzliche Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen ist gemäß § 266a StGB mit Strafe bedroht.