Im zugrundeliegenden Sachverhalt wurde dem Arbeitnehmer eines baden-württembergischen Betriebs, der seinen Wohnsitz im grenznahen französischen Département Bas-Rhin hatte, außerordentlich (fristlos) gekündigt. Das Kündigungsschreiben überbrachte ein anderer Mitarbeiter des Arbeitgebers. Dieser warf den Umschlag nach den Feststellungen der Instanzgerichte um 13:25 Uhr am 27. Januar 2017 in den Briefkasten des Arbeitnehmers ein. Der Gekündigte erhob Klage auf die Feststellung, dass die Kündigung unwirksam sei. Diese ging am 20. Februar 2017 bei Gericht ein.
Fraglich war hier, ob die Klage rechtzeitig bei Gericht einging. Gemäß § 4 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) muss eine solche Klage binnen drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung beim Arbeitsgericht erhoben werden, d.h. dort eingehen. War dem Arbeitnehmer die Kündigung auch wirklich am 27. Januar 2017 zugegangen, so lief ab dem Folgetag die dreiwöchige Frist. Entsprechend hätte er nur bis zum Ablauf des 17. Februar 2017 Kündigungsschutzklage erheben können, der Klageeingang am 20. Februar wäre damit zu spät erfolgt. Geht man allerdings vom 28. Januar als Zugangstag aus, so fiel das Fristende zwar rechnerisch auf den 18. Februar 2017. Da dieser Tag aber ein Samstag war, wäre das Fristende auf den nächsten Werktag gefallen, also den 20. Februar 2017, womit die Klage rechtzeitig erfolgt wäre.
Für die Rechtswirksamkeit der Kündigung kam es daher entscheidend darauf an, ob die Kündigung noch am 27. Januar zugegangen war. Hierzu müsste die Kündigung nach den Anforderungen der Rechtsprechung „in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt“ des Mitarbeiters gelangt sein, so dass für ihn unter gewöhnlichen Umständen die Möglichkeit bestand, von ihr Kenntnis zu nehmen. Ob dies der Fall ist, muss nach ständiger Rechtsprechung nach den „gewöhnlichen Verhältnissen“ und den „Gepflogenheiten des Verkehrs“ beurteilt werden.
Mit dieser Betrachtungsweise ist aber nicht viel gewonnen, da nicht auf die persönlichen Gewohnheiten des jeweiligen Adressaten Rücksicht genommen wird. Entscheidend ist also, was die Verkehrsanschauung glaubt, wann der durchschnittliche Postempfänger seinen Briefkasten leert. Die Rechtsprechung war hierzu bislang uneins. Zwar hatten sowohl das BAG als auch der Bundesgerichtshof einen Zugang angenommen, sobald am jeweiligen Ort für gewöhnlich die Postzustellung beendet war. Das verneinte allerdings die generalisierende Betrachtung und führte zu einer Zustellungsfiktion, die von den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten abhängig war.
Unstreitig war am Wohnsitz des gekündigten Mitarbeiters die Postzustellung gewöhnlich gegen 11 Uhr beendet. Dies zugrunde gelegt, wäre die Kündigung, die erst nach 13 Uhr in den Briefkasten geworfen worden war, erst am nächsten Tag zugegangen. Damit wäre die Klage des Arbeitnehmers noch rechtzeitig erfolgt.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) brach allerdings mit dieser bisherigen Auffassung der Bundesgerichte. Das LAG erachtete es nämlich als unrealistisch, davon auszugehen, dass ein durchschnittlicher Empfänger tatsächlich um 11 Uhr am Vormittag seinen Briefkasten leeren werde. Ein durchschnittlicher in Vollzeit tätiger Arbeitnehmer komme nämlich erst dann dazu, seine Post durchzusehen, wenn er von der Arbeit zurückkehre. Daraus folgerte das LAG, dass bis zu einem Posteinwurf um 17 Uhr gewöhnlich noch mit der Kenntnisnahme durch den Empfänger gerechnet werden könne.
Das BAG hob das Urteil des LAG auf und verwies die Sache erneut an das LAG zu weiteren Aufklärungen zurück. Das LAG habe nämlich außer Acht gelassen, dass die überwiegende Zahl der Deutschen gar keiner Vollzeittätigkeit nachgehe. Nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung sei überhaupt erwerbstätig, führte das BAG aus; weiter seien 6,8 Millionen Bürger geringfügig beschäftigt oder in Teilzeit tätig. Wie das LAG trotz dieser Werte dazu komme, ausgerechnet den Vollzeitarbeitnehmer als Minderheit der Bevölkerung zur Bestimmung der allgemeinen Verkehrsauffassung heranzuziehen, habe es nicht vernünftig ausgeführt. Nach Auffassung des BAG sei bereits nicht klar, warum überhaupt nur auf die arbeitende Bevölkerung abgestellt werden solle. Auch lebten viele Berufstätige gar nicht alleine, sondern mit anderen Personen zusammen, so dass auch diese tagsüber den Briefkasten leeren könnten. Zudem habe das LAG nur auf Gegebenheiten abgestellt, die auch lediglich für Deutschland relevant seien. Da aber die Gepflogenheiten am Zustellungsort ebenfalls relevant seien, müsse hier auch die Verkehrsauffassung hinsichtlich der Postzustellung in Frankreich berücksichtigt werden. Folglich entschied das BAG, dass die vom LAG angesetzte Leerungszeit um 17 Uhr willkürlich sei. Sie könne nicht begründen, dass die Klagefrist abgelaufen gewesen sei.